Samstag 22. November 2003, Region

Wo die Nachtigall singt und der Laubfrosch springt

Feuchtgebiete
Der Auftrag

Eingedolte Bäche, verlandete Tümpel und Weiher: Lebensräume werden zerstört, die Natur verarmt. Doch es geht auch anders.

von martin schweizer
Ausgerechnet im Jahr des Wassers war es in diesem Sommer und Herbst auch in unserer Region heiss und trocken wie lange nicht mehr. Während Wochen und Monaten wolkenloser Himmel, kein Regen, nur Sonne, Höchsttemperaturen, Rekordwerte. Wiesen und Maisfelder verdorrten. Im Rhein trieben tote Äschen. Die Schifffahrt war wegen Niedrigwasser blockiert. In den Rebbergen dagegen reiften Trauben zu einem exzellenten Wein heran. Auch Schmetterlinge und Libellen profitierten von der Hitze.
Das südliche Klima hat positive und negative Seiten, doch für eine genaue Bilanz ist es noch zu früh. Man kann die mutmasslichen Schäden auf die heimische Tier- und Pflanzenwelt heute abschätzen, aber noch nicht richtig einordnen, meint dazu Herbert Billing. Von ihm, dem Ressortleiter des Kantonalen Naturschutzamtes, und von Martin Bolliger, zuständig für die Pflege von Naturschutzgebieten, wollten wir jedoch wissen, wie sich im Kanton Schaffhausen in den letzten Jahren die für unzählige Arten lebensnotwendigen Feuchtgebiete entwickelt haben.

Glucksen und Piepsen

Augenschein im oberen Kantonsteil, vorerst bei den drei Weihern im Ried Hofenacker bei Ramsen, die erst vor kurzem vom Planungs- und Naturschutzamt angelegt wurden.
Der Boden ist nass, die Luft feucht, grau der Himmel. Bald wird es regnen. An diesem trüben Novembertag erinnert nichts mehr an die heissen Tage, die hinter uns liegen. Viel zu erzählen weiss dafür Martin Bolliger, wie sein Chef ein Spezialist mit grossem Fachwissen, der die Naturschutzgebiete im Kanton und vorab die Kleingewässer, die vielen Tümpel und Weiher, wie seinen Hosensack kennt. Jeder geknickte Halm, jedes Glucksen und Piepsen kann der Mann in den Stiefeln deuten.

Früher Torf gestochen

So erfahren wir: Im vier Hektaren umfassenden Ried bei Ramsen und den im Winter 02/03 mit einem Menzi Muck freigebaggerten Weiher brüten mittlerweile Teichhuhn und Nachtigall, der Kiebitz pendelt zwischen dem Feuchtgebiet und den ennet der deutschen Grenze liegenden Riedwiesen hin und her. Rielasingen ist nah, auch diese Gemeinde tut viel für die Natur.
Im Hofenacker Ried mit seinem moorigen Untergrund, wo einst Torf gestochen wurde, konnten in der Folge schon kurz nach der Freilegung des teilweise mit Schilf und Weidengebüsch überwachsenen Sumpfes Wasserwanzen, Ringelnattern, Libellen, aber auch stark gefährdete Amphibienarten nachgewiesen werden, so der Laub- und der Springfrosch. Die drei Weiher haben ein Gesamtvolumen von 2150 Kubikmetern, der Schlamm und Dreck konnte als Humus auf die umliegenden Felder verteilt werden. Grosszügige Pufferzonen sorgen dafür, dass in die von Grund- und Regenwasser gespeisten Weiher kein Dünger und keine Schadstoffe gelangen. Auch eine Hecke wurde gepflanzt. Für die extensiv genutzten Brachen erhalten die Bauern Direktzahlungen. Sie helfen aber auch in der Pflege mit, wie man aufgrund der Schilderungen von Herbert Billing und Martin Bolliger überhaupt sagen darf: Das Engagement für das vorbildlich revitalisierte Feuchtgebiet ist einmalig. Der Bund macht mit, der Kanton, die Gemeinde. Auch die Kooperation mit der Ramser Bevölkerung soll hervorragend sein.
Noch vor einem Jahr war es ein artenarmes, drainiertes «Niemandsland», das fast über Nacht (für Kosten von 40 000 Franken) wieder ein wertvolles Naturschutzgebiet wurde, attraktiv auch für Wanderer, für Ornithologen, für Schulklassen.

Wildbienen im Pfeifengras

Spektakuläre Feuchtgebiete im Ausmass des Hofenacker-Riedes oder des soeben auf private Initiative geschaffenen Biotops im Wangental entstehen nicht jedes Jahr. Aber es sind immer wieder wegweisende Projekte geplant, so zurzeit zwischen Schaffhausen und Thayngen.
Viele Feuchtgebiete wurden vom Kanton auch schon früher, vor allem in den neunziger Jahren, realisiert, renaturiert und in verbindliche Schutz- und Pflegekonzepte eingebunden, so das gut sieben Hektaren umfassende Ramser Moos, ein fantastisches Hangried mit einer einmaligen Artenvielfalt. Die Spezialität dieses Gebietes: das Fettblatt, eine Fleisch fressende Pflanze. Der Zauber: Orchideen, Primeln, Pfeifengras, prachtvolle Schmetterlinge und Libellen wie der Zitronenfalter, die Quelljungfer, der Himmelblaue und Silbergrüne Bläuling. Hier findet man aber auch seltene Fliegenarten und Wildbienen. Oder die Sichel-, die Schwert- und die Goldschrecke. Und den Baumpieper, einen Bodenbrüter.

Seltene Vögel

Weiter auf unserer kleinen Exkursion: Bei der in den letzten Monaten noch mehr als bisher aufgewerteten Biber-Mündung entdecken wir mitten im Schilf und Gehölz einen Silberreiher. Bekannt ist der Fischreiher. Der Silberreiher hingegen ist ein seltener Gast. Mit seinem blendend weissen Gefieder könnte man ihn von weitem für einen Weissstorch halten, der hier gelegentlich ebenfalls Station macht. Wie neuerdings der bei uns seit langem nicht mehr beobachtete Schwarzstorch.
Auch viele andere Wasservogelarten, Enten, Gänse, rasten oder überwintern in unserer Region, am Boden- und Untersee, am Rhein, aber auch und wichtig: auf kleineren Weihern, so im Schaaren, im grossflächigen Naturschutzgebiet z Hose in Stein am Rhein oder im ehedem verlandeten und im Winter 2001 wieder freigelegten Weiher Hörnli in Hemishofen. Dort, im Hörnli, brüten nun auch die......Kolbenente und der Zwergtaucher. Und mit etwas Glück stossen wir auf den kleinen Laubfrosch, den Wetterfrosch, der heute auf der roten Liste steht.

Der Biber wieder unter uns

Am oberen Biberlauf huscht eine Wasseramsel vorbei. Piepst ein Eisvogel, verschwindet im Röhricht, ehe man seine Farbenpracht ausgiebig bewundern kann. Bei der Bibermühle wird zudem klar: Die Biber sind wieder unter uns. Kräftig raspeln sie an Weiden und Pappeln, manche Spuren sind noch ganz frisch. Die Nager bauen hier aber keine jener kunstvollen Dämme und Burgen, wie wir sie aus dem Bilderbuch kennen - sie graben vielmehr Erdhöhlen in die Uferböschung und sind ansonsten ständig auf Achse. Dabei verhalten sich die Pflanzenfresser wie nachhaltig wirtschaftende Förster: Sie fällen in der Regel nur so viele Bäume wie natürlicherweise nachwachsen. Gesamtschweizerisch ist das Überleben des Bibers (mit 300 bis 500 Tieren) allerdings noch nicht gesichert.

Die Leistungen im Kanton

Der obere Kantonsteil ist ein gutes Beispiel für die Förderung, aber auch für die Notwendigkeit von Kleingewässern. Untätig blieb man indes in den letzten Jahren auch im übrigen Kanton nicht, in Zahlen: 24 Gemeinden weisen Feuchtgebiete im Umfang von total 248 Hektaren auf, die Stadt Schaffhausen inbegriffen. Dazu kommen die Fliessgewässer. Da sieht es nach Angaben von Johannes Hörler, zuständig für Gewässer beim Kantonalen Tiefbauamt, wie folgt aus: Ein Drittel der 320  Kilometer gelten als natürlich, gut 50 Prozent als naturnah, etwa ein Viertel ist eingedolt. Je nach Umfeld ist die Verteilung aber anders, so sind im Wald über 85 Prozent natürlich, während im Siedlungsraum zwei Drittel der Gewässer eingedolt wurden.

Marschhalt auf einem langen Weg

In den vergangenen Jahrzehnten wurden in der Schweiz gegen 90  Prozent der Feuchtgebiete zerstört - wertvolle Lebensräume, die im Siedlungsgebiet, aber auch in der offenen Landschaft auf Kosten einer vielfältigen Flora und Fauna verschwunden sind. Im jetzt ablaufenden Jahr des Wassers und nach einem extrem trockenen Sommer stellt sich mithin auch die Frage, wie es in unserem Kanton um die notwendige Revitalisierung von Klein- und Fliessgewässern steht. Wir unterhielten uns vor Ort mit den zuständigen Fachleuten des Kantons und der Stadt.
Gesetzliche Verpflichtung
In der Bundesverfassung wird der Natur- und Heimatschutz an die Kantone delegiert, mit Ausnahme der Moore und Moorlandschaften von «besonderer Schönheit». In einem Bundesgesetz und in Verordnungen wird überdies ausdrücklich festgehalten, es sei dem «Aussterben einheimischer Tier- und Pflanzenarten durch die Erhaltung genügend grosser Lebensräume und andere geeignete Massnahmen entgegenzuwirken»; schützenswert sind nicht zuletzt Feuchtgebiete, die von den Kantonen erhalten und gepflegt werden müssen. Der Bund unterstützt praktisch alle Projekte zur Revitalisierung mit namhaften Beiträgen. (-zer.)